Es war einmal um das Jahr 1900 in den Südstaaten der USA, als eine neue, rebellische Musikrichtung das Licht der Welt erblickte. Mit einem lauten Knall
und einer gehörigen Portion musikalischer Frechheit brach der Jazz aus dem Boden der afroamerikanischen Kultur hervor. Es war, als hätte sich die Musik
selbst entschieden, gegen die strengen Regeln der traditionellen europäischen Musik aufzubegehren. Doch, wie es in jeder guten Familiengeschichte ist,
konnte der Jazz seine europäischen Wurzeln nicht ganz verleugnen. Er nahm das europäische Tonsystem und die Instrumente, die ihm in die Hände fielen,
und machte etwas völlig Eigenes daraus – wie ein Teenager, der sich die Kleidung seiner Eltern schnappt, nur um sie neu zu kombinieren und mit einer
gewissen Rotzigkeit zu tragen.
Ein musikalischer Familienaufstand
Der Jazz ist das musikalische Äquivalent zu einem Jugendlichen, der im Vorort einer beschaulichen europäischen Kleinstadt aufwächst und plötzlich beschließt,
sich ein Skateboard zu kaufen, eine Lederjacke überzustreifen und mit rebellischen Freunden abzuhängen. Diese Freunde hießen Blues, Gospel und Ragtime –
allesamt vom afrikanischen Kontinent beeinflusst und mit einem unerschütterlichen Sinn für Improvisation und Ausdruckskraft ausgestattet. Und wie es bei
solchen Aufständen oft der Fall ist, war der Einfluss der Eltern – in diesem Fall der europäischen Marsch-, Tanz- und Populärmusik – zwar noch zu spüren,
wurde aber kräftig umgedeutet.
Der jazzige Instrumentenkasten
Stellen wir uns das vor: Ein traditionelles europäisches Orchester, perfekt geordnet und in Reih und Glied. Da gibt es die Streicher, die sanft ihre
Melodien weben, die Holzbläser, die elegant trillern, und die Blechbläser, die majestätische Fanfaren verkünden. Der Jazz kam mit einer Truppe an, die
diese Instrumente zwar übernahm, sie aber völlig anders einsetzte. Die Trompete und das Saxophon, ursprünglich eher für feierliche Anlässe gedacht,
begannen plötzlich, schmetternde Soli zu spielen, die mehr nach der pulsierenden Energie der Straße als nach höfischer Etikette klangen. Das Klavier,
bisher ein Symbol der bürgerlichen Salonmusik, wurde zum rhythmischen Motor, der die Musik vorantrieb, während die Gitarre und der Kontrabass den
Groove lieferten, der jedem Zuhörer unweigerlich in die Beine fuhr.
Call and Response: Ein musikalisches Ping-Pong
Ein weiterer Spaßvogel, den der Jazz aus der afrikanischen Tradition mitbrachte, war das Prinzip von Call and Response. Dieses musikalische Ping-Pong,
bei dem eine Stimme oder ein Instrument eine Phrase spielt und eine andere sofort darauf antwortet, sorgte für eine Lebendigkeit und Spontaneität, die in
der steiferen, europäischen Musik oft fehlte. Es war, als hätten die Jazzmusiker beschlossen, dass Musik nicht nur zum Zuhören, sondern auch zum Mitmachen
und zum Dialog da sein sollte – und das auf eine Weise, die förmlich danach schrie, die Füße zu bewegen und die Hüften zu schwingen.
Die große, bunte Familie der Jazzstile
Doch wie jede gute Geschichte entwickelte sich auch die Geschichte des Jazz weiter und brachte eine bunte Schar von Nachkommen hervor. Der New Orleans Jazz,
der Dixieland Jazz, der Chicago Jazz – jeder mit seinem eigenen Charakter und seiner eigenen Vorstellung davon, was „richtig“ und „falsch“ in der Musik ist.
Der Swing, der in den 1930ern zum Tanz einlud, war vielleicht der charmante Onkel, der auf jeder Hochzeit die Tanzfläche beherrscht. Dann kam der Bebop,
der ein bisschen so war, wie ein brillanter, aber exzentrischer Cousin, der alles schneller, komplexer und irgendwie verrückter machte. Und schließlich der
Free Jazz, der mit den Konventionen endgültig brach und den Musikern völlige Freiheit ließ – ein Freigeist, der sich nicht an Regeln halten wollte.
Jazz in der Gegenwart: Ein Kosmos voller Stile
Heute, im 21. Jahrhundert, ist der Jazz ein echter Weltbürger geworden. Vom Ethno Jazz, der verschiedene Kulturen miteinander verwebt, bis zum Acid Jazz,
der elektronische Klänge einfließen lässt, zeigt der Jazz, dass er noch immer jung, wild und experimentierfreudig ist. Aber egal, wie sehr er sich auch
verändert hat, eines bleibt unverändert: Seine Wurzeln, die tief in der afroamerikanischen Kultur und der europäischen Musiktradition verankert sind.
Schlussakkord: Die Freiheit der Improvisation
Im Jazz geht es um Freiheit – um die Freiheit, zu spielen, zu experimentieren, sich zu verlieren und neu zu erfinden. Das europäische Tonsystem mag die
Grundlage bilden, doch der Jazz ist der Beweis dafür, dass es nicht die Regeln sind, die die Musik lebendig machen, sondern die Art und Weise, wie wir
sie brechen. So wird der Jazz wohl immer das musikalische „enfant terrible“ bleiben, das uns daran erinnert, dass Musik, wie das Leben selbst, am
aufregendsten ist, wenn sie improvisiert wird.