Von allen Musikrichtungen, die das 20. Jahrhundert hervorgebracht hat, ist der Blues vielleicht die ehrlichste. Keine Musik spricht direkter, keine trägt so viel Leben,
Leid und Leidenschaft in sich. Der Blues ist kein Stil, er ist ein Zustand – und manchmal auch eine Religion. Drei Gitarristen stehen dafür wie kaum andere: Robert Johnson,
Muddy Waters und Eric Clapton. Drei Männer, drei Epochen, ein Herzschlag aus zwölf Takten.
Robert Johnson – Der Mann, der seine Seele verkaufte
Er war kaum mehr als eine Legende, bevor man ihn überhaupt richtig gehört hatte. Robert Johnson, geboren 1911 in Mississippi, starb 1938 mit nur 27 Jahren – angeblich,
weil er seine Seele an den Teufel verkauft hatte, um der beste Bluesgitarrist der Welt zu werden. So erzählt es zumindest die Sage, und wer seine Aufnahmen hört, versteht,
warum sie entstanden ist.
Seine Gitarrentechnik war zu seiner Zeit revolutionär – synkopierte Bassläufe, perlende Licks, eine Stimme, die zwischen Schmerz und Ekstase vibrierte. Songs wie Cross Road
Blues oder Hellhound on My Trail klingen, als kämen sie aus einer anderen Dimension. Johnson war nicht nur Musiker, sondern ein Medium – der Blues sprach durch ihn.
Seine 29 aufgenommenen Songs sind heute wie heilige Schriften für Gitarristen. Kein Wunder, dass Clapton einmal sagte: „Robert Johnson zu hören, war, als würde mir der Kopf
aufgehen.“
Muddy Waters – Der Strom wird elektrisch
Wenn Johnson der Prophet war, dann war Muddy Waters der Erbauer des Tempels. Geboren als McKinley Morganfield im ländlichen Mississippi, brachte er den Blues in die Stadt –
genauer gesagt: nach Chicago. Dort schloss er seine Gitarre an den Verstärker, drehte den Regler nach rechts und veränderte die Musikgeschichte.
Waters war der Mann, der den Delta Blues in den elektrischen Blues verwandelte. Plötzlich wurde der Schmerz laut, der Rhythmus schmutzig, das Gefühl urban. Songs wie
Hoochie Coochie Man oder Mannish Boy sind nicht nur Klassiker – sie sind das Fundament, auf dem Rock’n’Roll gebaut wurde. Ohne Muddy Waters kein Rolling Stone (weder Band
noch Songtitel), kein Led Zeppelin, kein Clapton.
Und das Beste: Muddy hatte Humor. Auf der Bühne lachte er oft mitten im Song, als wollte er sagen: „Ja, ich weiß, das Leben ist hart – aber der Groove macht’s erträglich.“
Eric Clapton – Der Schüler wird zum Lehrer
Dann kam der Mann, der beide Welten verband: der britische Blues-Apostel Eric Clapton. Als Teenager in London hörte er die Platten von Johnson und Waters – und machte sie
zu seiner Schule. In den 1960ern, mit den Yardbirds, John Mayall und später Cream, brachte Clapton den Blues in die Rockarenen und auf die Stadionbühnen.
Clapton war nie nur Nachahmer; er war Übersetzer. Er nahm den Schmerz des Delta und den Schweiß von Chicago und verwandelte sie in eine universelle Sprache, die auch die
Kids mit langen Haaren und Verstärkern auf „11“ verstanden. Sein Spiel war präzise, gefühlvoll, manchmal schneidend, manchmal fließend wie Whiskey.
Seine Interpretation von Crossroads (ein direkter Gruß an Johnson) machte ihn zum Superstar – und zeigte, dass der Blues sich ständig neu erfinden kann, ohne seine Seele
zu verlieren.
„Mister Slowhand“ – Der sanfte Donner von Eric Clapton
Der Spitzname „Slowhand“ haftet an Eric Clapton wie der Blues an seiner Gitarre – und das seit den frühen Tagen seiner Karriere. Entstanden ist er ironischerweise,
weil Clapton auf der Bühne bei einer gerissenen Gitarrensaite gemächlich stehen blieb und sie in aller Ruhe neu aufzog, während das Publikum im Takt langsam klatschte.
Aus dem rhythmischen „Slow Handclap“ wurde bald „Slowhand“ – ein Name, der perfekt zu seinem Spiel passt.
Denn Claptons Stil ist kein Feuerwerk aus Geschwindigkeit, sondern eine Meisterklasse im Weglassen. Jeder Ton zählt, jede Biegung hat Bedeutung. Seine Soli erzählen
Geschichten, sie atmen, sie leben. Wo andere Gitarristen mit Technik prahlen, spricht Clapton mit Gefühl – präzise, geschmackvoll und immer mit dieser sehnsüchtigen
Melancholie in der Tonbildung, die sofort wiedererkennbar ist.
Ob in Layla, Wonderful Tonight oder seiner Version von vielen anderen Blues Songs – Claptons „Slowhand“ ist keine Langsamkeit, sondern Kontrolle: die Kunst, genau dann
zuzuschlagen, wenn das Herz es verlangt. Ein Mann, der nie laut schreien musste, um gehört zu werden.
Drei Saiten, ein Geist
Was Robert Johnson, Muddy Waters und Eric Clapton verbindet, ist mehr als nur der Blues. Es ist die Suche nach Ausdruck, nach Wahrheit, nach einer Note, die alles sagt.
Jeder von ihnen hat dem Blues etwas hinzugefügt: Johnson das Mysterium, Waters die Kraft, Clapton die Weltläufigkeit.
Und doch bleibt der Kern derselbe: eine Gitarre, eine Geschichte, ein Gefühl. Der Blues lebt von der Unvollkommenheit – von den schiefen Tönen, den rauen Stimmen, den
Momenten, in denen das Leben zu viel und die Musik die einzige Antwort ist.
Wie Muddy Waters einmal sagte: „Der Blues hat einen Sohn, und der heißt Rock’n’Roll.“
Und vielleicht hat dieser Sohn heute Enkel, die Rap, Jazz oder Funk heißen – aber das Blut, das durch alle fließt, ist immer noch tiefblau.
Fun Fact zum Schluss:
Robert Johnson soll an einer Straßenkreuzung mit dem Teufel verhandelt haben. Muddy Waters verhandelte später mit Plattenbossen. Und Eric Clapton? Er kämpfte jahrzehntelang
mit sich selbst – und gewann, mit der Gitarre als Therapie.
Denn der Blues ist eben nicht nur Musik. Er ist das Lächeln, das man spielt, wenn einem eigentlich zum Weinen ist.